Digitale Hongkonger Journalisten im Exil: Zwischen Diaspora und Identität

Hongkonger Journalisten in Übersee reagieren auf die pekinghörige Politik. 2020 ging sie mit einem repressiven Sicherheitsgesetz gegen unabhängige Medien vor.

Ein Exil-Ausgabe des Apple Daily liegt auf einer Strasse in London

Eine Spezial-Ausgabe des Apple Daily, die im Londoner Exil produziert wurde Foto: Hesther Ng/zuma/imago

VANCOUVER taz | Hongkongs demokratische Massenbewegung von 2019 gegen das Auslieferungsgesetz hat sich zu einem Kampf mit den pekinghörigen Behörden entwickelt – auf der Straße, in der Legislative, an den Wahlurnen und in den Medien. Online-Medien wie Hong Kong Inmedia, TMHK, StandNews, CitizenNews waren wichtig für die Bewegung und ihre soziale Mobilisierung etwa durch Live-Übertragung von Protesten. Sie durchbrachen den von der Regierung und den pekingnahen Medien vorgegebenen Rahmen.

Die Behörden sahen im wachsenden Einfluss der Online-Medien eine Bedrohung und gingen gegen sie vor. StandNews und etablierte prodemokratische Medien wie Apple Daily gerieten in den Fokus des Nationalen Sicherheitsgesetzes und noch aus der Kolonialzeit stammender Restriktionen und wurden zur Schließung gezwungen.

Die wachsenden Unsicherheiten, Drohungen, Einschüchterungen und Verhaftungsrisiken führten dazu, dass sich viele Hongkonger Journalisten ins Ausland absetzten. Nur dort sahen sie Möglichkeiten, ohne Zensur und ohne Selbstzensur über die Entwicklungen in Hongkong zu berichten. Laut der in London ansässigen, im Jahr 2023 gegründeten Association of Overseas Hong Kong Media Professionals (AOHKMP) verließen seit 2019 Hunderte Journalisten die südchinesische Sonderverwaltungsregion.

Demnach wechselten 60 Prozent der ins Ausland gezogenen Journalisten seitdem den Beruf. Doch manche, die früher etwa für Apple Daily oder StandNews arbeiteten, haben neue Onlinemedien gegründet. Jetzt berichten sie in alternativer Form aus dem Ausland über Hongkong-Themen.

Prodemokratische Berichterstattung aus der Diaspora

Eine Mischung aus professionellen Journalisten und Exil-Aktivist:innen produzieren diese Medien in einer Form, die zwischen den traditionellen Kategorien ethnische Medien, Diasporamedien und Exilmedien liegt

Ziel ist die Fortsetzung einer prodemokratischen liberalen Berichterstattung aus der Diaspora über die Heimat. Sie wollen die mediale Lücke füllen, die mit dem NSL entstanden ist, und über die zensierten politischen Nachrichten aus Hongkong offen berichten. Ein weiteres Ziel sei, Hongkongs besondere Kultur, Sprache und Identität zu bewahren, erklärten die AOHKMP-Vorsitzenden Steve Vines und Jane Poon gegenüber der Deutschen Welle.

Neben den drei großen textbasierten, rein digitalen Überseemedien The Chaser News, The Points, Photon Media gibt es auch Hongkonger Überseemedien im (Online-)Radiobereich wie Green Bean Media oder Commons. Alle haben gegenüber den in der Stadt verbliebenen Medien sogar einen Vorteil bei der Berichterstattung über Hongkonger Aktivismus im Ausland.

Zugleich wurde deutlich, dass Hongkongs kantonesische Kultur inzwischen eine eigene, subethnische Identität hervorgebracht hat, die sich von anderen chinesischen Kulturen wie aus der Volksrepublik oder aus Taiwan abgrenzt. Entsprechend versuchen auch die genannten Hongkonger Online-Überseemedien, sich von chinesischen Medien im Ausland, die von Peking kontrolliert werden, abzuheben und zugleich mit ihren Berichten über Hongkong in die Metropole zurückzustrahlen.

Hongkonger Exilmedien vs Chinesische Medien im Ausland

The Chaser News behandelt Themen, die für Hongkonger in Übersee interessant sind, und bringt investigative Berichte in einem professionellen Umfeld. Ziel ist es nach eigenen Angaben, das interessierte Publikum mit „den Werten und dem Geschmack der Hongkonger“ zu unterhalten und eine „wahrheitsgetreue“ und „ungefilterte Tiefenberichterstattung“ zu liefern, die „keiner offiziellen Zensur“ unterliegt.

Photon Media hat sich auf die Fahnen geschrieben, mit Professionalität und Wahrheitsliebe, „Nachrichten für Hongkonger“ zu liefern, „die Stimmen der Hongkonger Diaspora und Andersdenkender“ abzubilden, „Nachrichten aus Hongkong sowie Hongkong in die Welt zu bringen“ und die Hongkonger „wieder zu Wort kommen zu lassen“ – im zunehmend „tendenziösen Medienumfeld“ der Metropole.

Photon News ist ein Sonderfall unter den Medien im Gastland Taiwan, in dem es nie über taiwanbezogene Nachrichten berichtet, sondern sich auf Nachrichten aus Hongkong und dem Ausland konzentriert.

Eine Mischung aus professionellen Journalisten und Exil-Aktivist:innen produzieren diese Medien in einer Form, die zwischen den traditionellen Kategorien ethnische Medien, Diasporamedien und Exilmedien liegt. Als quasi ethnische Medien betreuen und fördern sie die Migrantengemeinschaft; als Diaspora-Medien müssen sie über Nachrichten aus dem Aufnahmeland wie über Hongkong berichten und ein besonderes Interesse an dessen Freiheiten und politischen Problemen haben.

Hongkong fiel unter eine autoritäte Herrschaft

Dabei sind diese Medien auch wichtig für die Aufrechterhaltung einer Hongkonger Überseezivilgesellschaft: Sie fungieren als wichtige Plattform für soziale Bewegungen und Gruppen der Übersee-Hongkonger, indem sie diese gegen die Unterdrückung der Pressefreiheit immunisieren und Nachrichten zurück nach Hongkong ausstrahlen. Sie versuchen, die Unterdrückung der Berichterstattung über „sensible“ Themen wie Proteste und Kritik an der Regierung in Hongkongs Mainstream-Medien zu durchbrechen.

Hongkongs besondere Stellung war, dass es sich an der Grenze zwischen der autoritären und der demokratischen Welt befand. Als Medienschaffende ins Ausland zogen und versuchten, Hongkong-Medien in Übersee zu gründen, passten sie nicht in die gängigen Muster und Strukturen. Die verstreuten Hongkonger Überseemigranten definierten den Begriff „Diaspora“ neu. Denn kein anderer Ort auf der Welt hat in jüngerer Zeit eine Rekolonisierung erlebt, die quasi direkt nach der Kolonisierung ohne Dekolonisierung stattfand und die Subethnizität in der Kluft zwischen autoritärer und demokratischer Gesellschaft erweiterte.

Hongkong war ein Grenzraum, in dem Freiheit und eine freie Presse, die auf der Basis einer demokratischen, professionellen Haltung agierte, in kurzer Zeit Wurzeln schlugen, aber dann unter eine autoritäre Herrschaft fielen. Viele Journalist:innen, die einige Jahre Pressefreiheit genossen hatten, sahen nur noch die Möglichkeit, Hongkong zu verlassen und ihre Arbeit im Ausland wieder aufzunehmen.

Der Autor war preisgekrönter Fotojournalist in Hongkong und ist jetzt Medienwissenschaftler im kanadischen Vancouver

China: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 135

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos hier.

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