Drohungen gegen Po­li­ti­ke­r*in­nen: Hass im Wahlkampf

Die Grüne Göring-Eckardt ist in Brandenburg bedroht worden – und fordert mehr Schutz durch die Polizei. Auch andernorts häufen sich Angriffe.

Porträtbild der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt

Konnte einen Wahlkampfauftritt in Brandenburg nur mit Verspätung verlassen: Katrin Göring-Eckardt (Grüne) Foto: Jan Woitas, dpa

BERLIN taz | Die Ansage von Nancy Faeser ist deutlich. „Solche Einschüchterungsversuche haben nichts mehr mit demokratischem Protest zu tun“, erklärte die Bundesinnenministerin und Sozialdemokratin am Donnerstag. „Wir sollten nie vergessen, wo politische Aggression hinführen kann. Der zunehmenden Verrohung müssen sich alle Demokraten entgegenstellen.“

Vorausgegangen waren Bedrohungen gegen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) im brandenburgischen Lunow-Stolzenhagen, die erst jetzt bekannt wurden. Die Politikerin hatte am vergangenen Samstag in dem Ort an der polnischen Grenze vor rund 100 Zuhörenden bei einem Wahlkampftermin gesprochen – just zum Thema Demokratie. Laut Angaben von Teilnehmenden kam es dabei zu Gegenprotesten von 40 bis 50 Leuten, auch mit Hupen und Sirenengeheul.

Als Göring-Eckardt dann wieder habe abfahren wollen, sei ihr Dienstwagen von zwei Männern blockiert worden, die sich davor und dahinter gesetzt hätten. Laut dem Büro der Politikerin schlugen mehrere Personen aggressiv auf das Fahrzeug, in dem Göring-Eckardt saß. Erst als die Polizei Verstärkung gerufen habe, sei die Abfahrt mit 45 Minuten Verspätung möglich gewesen.

Die Polizei bestätigte die Blockade: Gegen einen 19- und einen 26-Jährigen sei eine Anzeige wegen Nötigung aufgenommen worden. Der Ältere habe eine Gegenanzeige gestellt, weil er angeblich von dem Auto touchiert worden sei. Laut Polizei waren aber „keine Verletzungen ersichtlich“. Inzwischen gibt es laut Polizei eine weitere Anzeige wegen Sachbeschädigung, da bei der Aktion der Dienstwagen von Göring-Eckardt am Heck beschädigt worden sein soll.

Ländlichen Raum „nicht einem Mob überlassen“

Göring-Eckardt sagte dem Stern und RND, Protest sei legitim, Bedrohung und Einschüchterung aber nicht. Es könne nicht sein, dass Demokratieveranstaltungen zum Risiko würden. „Über Demokratie zu reden, muss überall möglich sein.“ Göring-Eckardt kritisierte auch die Polizei: Es brauche ein stärkeres Bewusstsein der Sicherheitsbehörden, die einerseits die Demonstrationsfreiheit schützen müssten – politische Veranstaltungen wie in Lunow-Stolzenhagen aber eben auch. Man könne die ländlichen Räume „nicht einem Mob überlassen“.

Ein Mitarbeiter von Göring-Eckardt sagte, man sei überrascht gewesen, wie „sorglos“ die Polizei mit Aufrufen zum Gegenprotest im Vorfeld umgegangen sei, die etwa in Nachrichtengruppen kursierten. Vor Veranstaltungsbeginn sei nur ein Polizeieinsatzleiter mit einer Handvoll Einsatzkräften vor Ort gewesen, am Ende noch zwei Polizeibeamte. Ein Polizeisprecher sagte am Donnerstag auf taz-Nachfrage, zu Einsatzstärken äußere man sich grundsätzlich nicht. Der Einsatz werde aber nachbereitet.

Nicht nur Faeser stellte sich am Donnerstag hinter Göring-Eckardt. Auch die CDU-Politikerin Yvonne Magwas, ebenso Vizepräsidentin des Bundestags, erklärte, der Angriff auf die Grüne sei „leider ein weiteres Beispiel der immer größer werdenden Aggressivität von Demokratiefeinden“. Das sei „nicht hinnnehmbar“. Alle De­mo­kra­t*in­nen müssten sich „solidarisch unterhaken“.

„Auch in Thüringen ist die Stimmung aufgeheizt“, sagte der dortige Innenminister Georg Maier (SPD) am Donnerstag der taz. „Parteibüros werden angegriffen. Menschen, die Plakate aufhängen, werden beschimpft und bedroht. Das ist leider inzwischen trauriger Alltag.“ Maier verwies auf einen Sicherheitsgipfel mit Opferberatungsverbänden, der kürzlich in Thüringen abgehalten wurde. Auf Informationsveranstaltungen informiere man Gefährdete über Sicherheitsmaßnahmen bis hin zu persönlichem Polizeischutz. „Das Thema treibt uns extrem um“, so Maier. „Wir müssen alles tun, um denen den Rücken zu stärken, die sich für unsere Demokratie einsetzen.“

Zuvor hatte schon Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) betont, dass „in der Demokratie mit Argumenten gerungen wird und nicht mit Fäusten“. Der Wahlkampf müsse gewaltfrei bleiben. „Wer sich daran nicht hält, wird bestraft.“ Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte zuletzt versichert, wer sich politisch engagiere, verdiene „unsere Gewähr, das Amt und Mandat sicher wahrnehmen zu können“.

Am Wochenende weitere Übergriffe

Erst am Wochenende waren weitere Angriffe auf Wahlkämpfende in Brandenburg und Sachsen erfolgt. Im brandenburgischen Schöneiche wurden zwei Linken-Kandierende von Jugendlichen attackiert, die erst ein zuvor angebrachtes Plakat zerstörten und dann versuchten, die Politiker zu schlagen und mit Flaschen warfen. Nach Parteiangaben wurden dabei rechtsextreme Parolen gerufen. Die Linken-Landesvize Julia Wiedemann sprach von einer „Verrohung politischer Auseinandersetzungen und einer wachsenden Gewaltbereitschaft, wie sie von der AfD aktiv vorangetrieben wird“. Das sei „inakzeptabel“.

Am gleichen Wochenende waren auch Grünen-Wahlkämpfer*innen innerhalb eines Vormittags im sächsischen Chemnitz, Zwickau, Freiberg und Penig beleidigt oder geschlagen worden, als sie Plakate an Masten anbrachten. Sachsens Grünen-Landeschefin Christin Furtenbacher sprach von „einer weiteren Eskalationsstufe, die eines respektvollen gesellschaftlichen Miteinanders unwürdig und demokratiefeindlich ist“. Grünen-Bundeschefin Ricarda Lang verurteilte, dass Engagierte „gezielt bedrängt, eingeschüchtert und angegriffen werden, die sich für die Demokratie einsetzen“. Hier müssten De­mo­kra­t*in­nen zusammenstehen.

Und die Vorfälle sind vor den Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern und der Europawahl keine Einzelfälle. Die sächsische Polizei zählt in diesem Jahr bereits 30 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger. Auch in Brandenburg war es eine zweistellige Zahl an Delikten.

Das sächsische Innenministerium verwies darauf, dass zuletzt mehrere Schutzmaßnahmen für politisch Aktive ergriffen wurden, darunter die Schaffung eines ständigen Ansprechpartners für Landtagsabgeordnete bei der Polizei, Streifenfahrten vor Parteibüros oder ein verstärktes Internetmonitoring.

Das Bundeskriminalamt hatte bereits für das vergangene Jahr einen deutlichen Anstieg von Angriffen auf Par­tei­ver­tre­te­r*in­nen konstatiert. Demnach gab es 2023 nach vorläufigen Zahlen 2.790 Straftaten. Das ist ein deutlicher Anstieg zum Vorjahr, als es 1.806 Taten waren – und fast eine Verdoppelung zu 2019 mit damals 1.420 Delikten. Einzig 2021, dem Jahr der Bundestagswahl, lag die Zahl mit 2.840 Straftaten höher. Die mit Abstand meisten Straftaten im vergangenen Jahr betrafen Ver­tre­te­r*in­nen der Grünen (1.219), gefolgt von der AfD (478) und der SPD (420).

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