Geisel-Deal zwischen Israel und Hamas: „Bring them home“ – aber wie?

Die Verhandlungen um Geiseldeal und Waffenstillstand geraten erneut ins Stocken. Denn was für Israel eine rote Linie ist, ist für Hamas Bedingung.

Menschenmasse auf einer israelischen Kreuzung, eine Israelfahne weht darüber

Sie verlieren immer mehr die Geduld: De­mons­tran­t*in­nen in Tel Aviv protestieren gegen die Regierung und für einen Geiseldeal Foto: dpa

JERUSALEM taz | Auf einer Bühne am „Platz der Geiseln“ in Tel Aviv, stehen Orna und Ronen Neutra und fordern die Regierung Israels dazu auf, „Charakterstärke und Mut“ zu zeigen. „Nur durch die Rückkehr unserer Lieben kann das jüdische Volk wieder ganz werden“, sagt Orna Neutra ins Mikrofon. Ihr Sohn Omer ist seit dem 7. Oktober in Gaza, entführt von militanten Palästinensern. Gemeinsam mit den Angehörigen anderer Geiseln sprechen die beiden am Samstagabend zu den Tausenden, die sich auf dem „Platz der Geiseln“ versammelt haben. „Bring them home now“ steht auf einem Schild am Rednerpult der Bühne, viele haben israelische Fahnen mitgebracht, und schwenken sie über den Köpfen der Menge.

Überall im Land gibt es am Samstag Demonstrationen: Für einen Geisel-Deal, der die 132 noch immer in Gaza Festgehaltenen nach Hause bringen soll. Mehrere Dutzend von ihnen sind wohl nicht mehr Leben. Und gegen die Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu, der – so die immer lauter werdenden Vorwürfe – einen solchen Deal mit der Hamas torpediert.

Seit Wochen verhandeln Israel und die Hamas indirekt über die Vermittler USA, Ägypten und Katar über einen Deal. Im Tausch gegen die Freilassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen sollen die Geiseln in Gaza freikommen. Außerdem sollen die Waffen ruhen. Doch an der Frage, was das genau bedeuten soll, scheitert die Einigung bisher. Die Hamas fordert einen dauerhaften Waffenstillstand, also ein Ende des Krieges. Israel hingegen lehnt das entschieden ab und besteht weiterhin auf einer Bodenoffensive in Rafah.

Die Stadt im Süden des Küstenstreifens ist das letzte Gebiet in Gaza, auf dem bisher keine israelischen Bodentruppen stationiert waren. Im Laufe des Krieges forderte das israelische Militär die Bevölkerung Gazas immer wieder dazu auf, sich in die Stadt zu begeben. Über eine Million Menschen hatten dem Folge geleistet, und hausen dort in Zeltstädten und Notunterkünften, etwa in Schulen und teuer angemieteten Wohnungen.

Druck auf Netanjahu von allen Seiten

Dass auch die USA Israel mit Nachdruck vor einer Offensive auf die Stadt warnen, liegt vor allem an den vielen Zivilistinnen und Zivilisten in Rafah. Das Ringen um die Bodenoffensive zieht sich – ebenso wie das Ringen um den Geiseldeal – bereits seit mehreren Wochen: Israel habe keinen glaubwürdigen Plan vorgelegt, wie es die vielen Zivilisten in dem Gebiet bei einer Bodenoffensive schützen wolle, erklärte das Weiße Haus bereits Mitte März. Anfang Mai betonten die USA erneut: Israel habe weiterhin keinen Plan vorgelegt, wie es mit den vielen Geflüchteten dort umgehen wolle, und wie ihnen im Falle einer Offensive Hilfslieferungen zukommen sollte.

Viele Israelis werfen ihrer Regierung vor, den seit Monaten anhaltenden Krieg mit der Hamas mit einer gewissen Planlosigkeit zu führen. Spannungen innerhalb des Kriegskabinetts verschärfen dieses Gefühl weiter: Die rechten Regierungsmitglieder machen Druck auf Netanjahu, keinen Deal mit der Hamas einzugehen. Benny Gantz, ehemaliger Verteidigungsminister und nach dem 7. Oktober von der Opposition ins Kriegskabinett gewechselt, betont hingegen: Die oberste Priorität müsse die Rückkehr der Geiseln sein – noch vor einer Offensive auf Rafah.

Die Militärkampagne in Gaza konnte bisher kaum Geiseln ausfindig machen und retten – gerade einmal drei. Durch den Geisel-Deal im November kamen hingegen 105 in Gaza Festgehaltene frei.

Wiederaufbau Gazas soll laut UN 16 Jahre dauern

Doch seitdem haben sich die Fronten noch einmal deutlich verhärtet – auch weil für beide Seiten noch mehr als damals auf dem Spiel steht.

Die Militärkampagne Israels hat mittlerweile viele Kämpfer der Hamas das Leben gekostet, darunter auch die Nummer Drei der Terrororganisation, Marwan Issa. Er soll der „Verteidigungsminister“ der Hamas gewesen sein, und ihr strategischer Kopf in Gaza.

Insgesamt sollen nach Angaben der Palästinensischen Autonomiebehörde über 35.000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, getötet worden sein. Auch die Infrastruktur in dem Küstenstreifen ist zu großen Teilen zerstört, die Vereinten Nationen gaben jüngst bekannt, dass der Wiederaufbau Gazas mindestens sechzehn Jahr dauern werde. Immer wieder zeigen Videos aus Gaza Flüchtende, die der Hamas die Schuld an ihrem Leid geben. Der Druck auf die Hamas wächst so – angesichts der Zerstörung in Gaza – auch von innen.

Ähnlich ist die Lage in Israel: Schon seit Oktober fordern viele Israelis einen Rücktritt Netanjahus und seiner Regierung und einen Geiseldeal. Gleichzeitig wäre es in den Augen vieler ein erneutes Versagen, Gaza nun wieder in die Hände der Hamas zu geben.

Verhandlungen stocken erneut

Bevor die Delegation der Hamas am Samstag nach Ägypten anreiste, für eine neue Runde der Verhandlungen, hatte sie noch bekannt gegeben, dass man mit „positiven Spirit“ alles dafür tun werde, um einen Deal zu sichern, der „die palästinensischen Forderungen erfüllt“.

Am Sonntagmorgen gaben palästinensische Offizielle bekannt: Die Verhandlungen stocken erneut. Israel selbst hat derzeit keine Delegierten nach Kairo entsandt, und wartet nach eigenen Angaben auf ein „positives Signal“ aus der ägyptischen Metropole. Der israelische TV-Sender i24News berichtete schon in der Nacht zum Sonntag in Berufung auf eine Quelle in Gaza, dass die Gespräche wohl einem „Kollaps“ entgegengingen.

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