Islamisten-Demo in Hamburg: Muss die Demokratie das ertragen?

Die Möchtegern-Kalifen von „Muslim Interaktiv“ provozieren Öffentlichkeit und Rechtsstaat. Wer sich jetzt auf Muskelspiele einlässt, spielt ihnen in die Karten.

Junge bärtige Männer tragen Hoodies, auf dem Rücken die Forderung nach einem Kalifat.

Teilnehmer auf der Islamisten-Demo in Hamburg Ende April Foto: ABB/picture alliance

Bettelt „Muslim Interaktiv“ nicht eigentlich um ein Verbot? Auf den Gedanken könnte man ja schon kommen, wenn man die seltsame Strategie betrachtet, jetzt gleich wieder eine Kalifats-Demo anzumelden – kaum zwei Wochen nachdem die erste für bundesweite Verbotsdebatten und eine Gegendemo gesorgt hatte.

Aber aus Sicht der Extremisten ist das wahrscheinlich logisch: Ihre ­Social-Media-Marke profitiert von der gesteigerten Aufmerksamkeit, ein erfolgreiches Verbot bestätigt ihr krudes Weltbild und steigert ihren Märtyrerstatus, mit einem Verbot, an das sich erst noch Gerichtsverfahren durch mehrere Instanzen anschließen, lässt sich der deutsche Rechtsstaat in seiner ganzen demokratischen Behäbigkeit vorführen. Das ist quasi eine Win-win-win-­Situation für die Extremisten und ihre Freunde von der AfD. Mit dem Slogan „Deutschland = Wertediktatur“, der auf der ersten Demo zu sehen war, können sich ja bestimmt auch beide Seiten anfreunden.

Schwer erträglich für alle, die eine offene, freie Gesellschaft wollen. Vielleicht muss man deshalb noch einmal an ein paar Grundsätze erinnern: Verbote sind aus gutem Grund so schwierig. Meinungsfreiheit gilt auch für Vollidioten. Ja, hier darf man auf die Straße gehen, um Quatsch zu fordern: Weltuntergang für alle, zum Beispiel. Oder weniger Chemtrails. Oder eben ein Kalifat, also ein Herrschaftssystem nach islamischen Regeln – wenn man ausgebufft genug ist, offen zu lassen, wann und wo das denn entstehen soll. Wenn nicht explizit zum Umsturz heraus­gefordert wird oder volksverhetzende Äußerungen fallen, wird es schwierig mit so einem Versammlungsverbot.

Bliebe das Verbot der Organisation. Nun hat man die Mutterorganisation Hizb ut-Tahrir schon 2003 verboten, was die Entstehung dieser Ableger offensichtlich nicht verhindert hat. Als eher informelle Netzwerke sind die Strukturen eben auch schwer zu fassen, da gibt es keinen Sitz, den man stürmen kann, um Unterlagen und Vermögen zu beschlagnahmen. „Muslim Interaktiv“ bezieht sein Mobilisierungspotenzial vor allem aus den sozialen Medien, bei deren Kontrolle sich der deutsche Staat aus vielen Gründen schwertut.

Die Gefahr lauert online

Im Grunde muss man fast sagen: Mit dem großen Auftritt auf der Straße tut die Organisation dem Verfassungsschutz und den Strafverfolgungsbehörden fast einen Gefallen, immerhin kommt man so an Gesichter und Namen und weiß am Ende, wen man im Auge behalten muss.

So unbefriedigend das im Moment sein mag: Ein Verbotsverfahren muss sorgfältig vorbereitet sein, es braucht Material, man muss verhindern, dass die gleichen Leute unter einem anderen Namen einfach weitermachen. Denn viel gefährlicher als diese großspurigen öffentlichen Auftritte ist das, was da im Netz und hinter verschlossenen Türen passiert.

Und wenn sich eine wachsende Anzahl von Jugendlichen davon angezogen fühlt, ist das das eigentliche Problem, um das man sich kümmern muss. „Extremisten geben die falschen Antworten auf die richtigen Fragen“, hört man in diesem Zusammenhang immer wieder. Und zu den richtigen Fragen, der Art von Fragen, bei denen sich Schulen und andere Institutionen zu oft wegducken, gehört: Warum können wir nicht über Gaza reden? Warum tut ihr so, als würde es keinen antimuslimischen Rassismus geben?

Kreativer Widerspruch statt Verbote

Aber das ist natürlich alles sehr zäh und langwierig, schwer zu vermitteln, wo doch alle gerade markige Worte, große Gesten und entschlossen simuliertes Handeln vorzeigen wollen. Da ist man schon dankbar für Menschen, die einfach mal eine Gegendemo anmelden. Vor allem, wenn es liberale Muslime sind, die den Extremisten nicht einfach das Feld überlassen wollen.

Vielleicht lässt sich das beim nächsten Mal noch steigern. Ein bisschen weniger staatstragend und direkt nebenan wäre fein. Bei manchen Neonazi-Aufmärschen hat man ja auch gute Erfahrungen mit kreativen Störaktionen gemacht. Nichts fürchten ­Extremisten so sehr wie die Lächerlichkeit. Hamburg, lass Regenbogenglitzer regnen! Und Seifenblasen. Singt „Shalalalala“ nach jedem „Allahu akbar“. Zumindest so lange, bis das mit dem Verbot geklärt ist.

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