Online-Supermärkte: Jetzt ist auch Getir am Ende

Bald müssen Yuppies wieder selbst einkaufen gehen. Zurück bleiben ausgebeutete Fah­re­r:in­nen.

Verlässt den deutschen Markt: der Online-Supermarkt Getir, der Gorillas übernommen hatte

Verlässt den deutschen Markt: der Online-Supermarkt Getir Foto: Reto Klar/Imago

Der Vorhang ist gefallen: Der Onlinesupermarkt Getir zieht sich aus Europa und den USA zurück und will sich auf seinen türkischen Heimatmarkt beschränken. Das Unternehmen hat den letzten 1.300 Mitarbeitenden bis Montag gekündigt.

Gorillas, das zeitweilig jede zweite Werbetafel Berlins mit provokanten Sprüchen zugekleistert hat, ist bereits seit August vergangenen Jahres nur noch eine tote Hülle. Konkurrent Getir übernahm das Unternehmen und entließ schon damals rund die Hälfte der Angestellten. Aus Kostengründen wurden die Marken damals nicht fusioniert.

Lediglich Flink harrt noch auf dem deutschen Markt aus, vor allem durch seinen starken Partner Rewe. Aber auch hier mehren sich die Stimmen, das verlustreiche Geschäft bald einzustellen. Es scheint, als sei das Geschäftsmodell der Onlinesupermärkte am Ende.

Denn profitabel waren Getir und Co selbst zur Hochzeit in der Coronapandemie nie. Dafür sind die gelieferten Mengen einfach zu gering, der logistische Aufwand für die versprochenen 15 Minuten, in denen die Ware beim Kunden sein sollte, zu hoch und die Liefergebühren zu niedrig. Bran­chen­ken­ner:in­nen warnten von Anfang an, dass Onlinesupermärkte in Deutschland keine Zukunft haben würden.

Was vom Ende Getirs bleibt, ist ein Lehrstück des modernen Bullshit­kapitalismus. Anders als in seiner klassischen Variante geht es hier nicht darum, den Mehrwert aus der Arbeit der Beschäftigten zu kassieren, sondern mit einer Art Theaterstück möglichst viel Investorenkapital einzuwerben.

Astronomische Profitmöglichkeiten in der Zukunft

Die Story des Stücks ist immer die gleiche: Ein geniales Start-up kommt und will irgendetwas Alltägliches von Grund auf revolutionieren – in diesem Fall den Supermarkteinkauf. Mit der Idee werden astronomische Profitmöglichkeiten in der Zukunft beschworen. Kurzfristige Verluste können da schon mal in Kauf genommen werden, denn am Ende winkt ein Monopol – das „The winner takes it all“-Prinzip; eine heile Welt, in der niemand mehr in den Supermarkt geht, sondern nur noch stündlich per App Chips, Nudeln und Pesto bestellt.

Je glaubwürdiger die Start-ups ihr Theater spielen, desto mehr Kapital ziehen sie an. Und je mehr Kapital sie anziehen, desto glaubwürdiger werden sie – eine Spirale, die zusammenbricht, sobald sie auf die Realität trifft.

Ar­bei­ter:in­nen werden in diesem Spiel zu Statisten degradiert. Anfangs stellten Getir und Co möglichst viele Fah­rer:in­nen ein, um Wachstum zu simulieren. Ganz egal, dass die Lohnkosten in Deutschland viel zu hoch und die Fah­rer:in­nen einen Großteil der Zeit nichts zu tun hatten. Wenig später entließen sie viele, um Profitabilität vorzutäuschen. Funktionierende Fahrräder, warme Winterkleidung und rückenschonende Transportboxen hatte die Fah­rer:in­nen aber nur selten. Böse Zungen behaupten, es sei den Lieferdiensten nie darum gegangen, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu etablieren.

Lästige Störungen

Streiks, Arbeitsschutz und Betriebsratsgründungen sind in den Augen der Bullshitkapitalisten nur lästige Störungen der Inszenierung. Deshalb greifen sie besonders gerne auf migrantische Ar­bei­ter:in­nen zurück, die ihre Rechte nicht kennen und auf ihren Arbeitsplatz für ihre Aufenthaltserlaubnis angewiesen sind. Dumm nur, dass gerade die Gorillas-Beschäftigten ziemlich gut darin waren, sich zu organisieren.

Nicht zuletzt sind auch die Kon­su­ment:in­nen im Bullshitkapitalismus egal. Denn gefragt, ob wir wirklich eine Revolution des Supermarkteinkaufs brauchten, hat uns schließlich niemand. Musste man ja auch nicht, denn die Milliarden sind geflossen und die Taschen der Gründer sind voll. Was bleibt, sind die geschundenen Rücken der Fah­rer:in­nen.

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Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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