Armut unter Kunstschaffenden: Alles ist prekär

Wer Kunst schaffen will, lebt oft in prekären Umständen. Künst­le­r*in­nen sollten offener darüber sprechen, denn nur so kommt Veränderung.

Hände vor einem roten Vorhang

Kunstschaffende wie die im Theater bräuchten eine helfende Hand Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Am Tag der Arbeit war ich auf der Suche nach der Kunst. Aber ich konnte sie nicht finden. Das ist traurig, denn die Arbeitsbedingungen für Künstler*innen, besonders freie, sind untragbar.

Alles ist prekär. Nichts ist planbar. Freie Künst­le­r*in­nen leben meistens von Projekt zu Projekt. Das Einkommen ist nicht nur niedrig, sondern auch unregelmäßig. Die Infrastruktur bröckelt, es fehlt an Ateliers und Proberäumen, Spielstätten sind unterfinanziert. Inflation, steigende Miet- und Energiekosten belasten das Theater besonders.

Künst­le­r*in­nen sind ständig unter Druck. Pauschale Gagen führen dazu, dass unerwartete Mehrarbeit unbezahlt bleibt. Aufträge sind viel zu stark von persönlichen Beziehungen abhängig, und wenn wir ehrlich sind: Förderung auch. Berufliches und Privates sind miteinander verwoben, Abgrenzung ist schwierig, und gearbeitet wird auch abends und am Wochenende. Krank werden gefährdet die Existenz, und Rente wird es niemals geben. Also raus zum ersten Mai! Oder auch nicht.

Arbeit gilt im Theater immer noch irgendwie als geil. Auch wenn diese Einstellung langsam bröckelt: Wir haben uns zu lange erzählen lassen und selbst erzählt, dass es ein Privileg ist, diese Berufe ausüben zu dürfen. Außerdem ist es eigentlich auch gar keine Arbeit, sondern Leidenschaft, Liebe, vielleicht sogar Zwang. Die wahre Künstlerin kann nicht anders, als Kunst zu schaffen.

Problem nicht sichtbar

Doch auch in der Kultur gilt: Arbeit ist genauso wenig geil, wie Armut sexy ist. Und ganz ehrlich: Die großen inspirierenden Momente voll künstlerischem Ausdruck, Kreativität und der Rausch auf der Bühne sind der geringste Teil. Meistens mach ich E-Mails.

Künst­le­r*in­nen sprechen nicht gern über ihre Arbeitsbedingungen. Und sie geben – wie viele andere auch – ungern zu, wenn es ihnen scheiße geht. Dabei würden solche Eingeständnisse die Arbeit unserer Interessenvertretungen und Verbände erleichtern. Wenn mehr Künst­le­r*in­nen leere Bankkonten, Überarbeitung, Sorge und Erschöpfung ansprechen würden (so anstrengend auch das dann ist), wäre das Problem sichtbarer und könnte damit auch schneller anerkannt und bekämpft werden.

Doch die Scham ist zu groß. Und die Angst, als unerfolgreich und wenig ­gefragt zu gelten. Niemand weiß genau, wann aus einer Künstlerin, die ihren großen Durchbruch noch nicht hatte, eine gescheiterte Künstlerin geworden ist. Die Grenzen sind fließend, aber als Letzteres wahrgenommen zu werden kann das berufliche Aus bedeuten.

Mythos: Beste Kunst entsteht durch Mangel

In der Kunst verdienen sehr wenige Kol­le­g*in­nen sehr viel Geld, während die meisten am Existenz­minimum leben. Dagegen etwas zu sagen hieße sich einzugestehen, dass man zur ersten Gruppe wohl nie gehören wird.

In einem besorgniserregenden Interview auf dem Portal „Nachtkritik“ verwies Berlins Kultursenator Joe Chialo darauf, dass Mozart arm gestorben sei und dass „Künstler in Afrika“ ja auch nicht staatlich gefördert werden, jedoch vor „Blechhütten“ tanzen und damit auf Tiktok viral gehen. Aha. Mozart starb 1791, und Chialo ist Kultursenator von Berlin. Trotzdem waren das seine Referenzpunkte, als er im Dezember darauf angesprochen wurde, dass der Rat für die Künste vor einem drohenden kulturellen Kahlschlag in Berlin warnt.

Dass die beste Kunst durch Mangel entsteht, ist ein trauriger Mythos, der sich zu lange hält. Vielleicht, weil ihn selbst diejenigen verbreiten, die eigentlich die Interessen von Künst­le­r*in­nen vertreten sollten.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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