Deutscher Meister Bayer Leverkusen: Eine Meisterschaft wie gemalt

Ja, die Mannschaft spielt fantastisch! Aber gegen das Stigma des seelenlosen Konzernclubs ist kein Kraut gewachsen.

Fans von Bayer Leverkusen in ihrem Stadion

Seit 1979 in der Bundesliga und durchaus mit Fankultur: Bayer Leverkusen Foto: Rolf Vennenbernd / dpa

Bayer Leverkusens erster Titel gleicht einem Kunstwerk. Es ist eine Meisterschaft wie gemalt. Und man kann sich in all den schönen Details verlieren. Zuvorderst werden die Leverkusener Profis als Befreier vom Meistermonopolisten Bayern München wahrgenommen. Das steigert den Wert der Schale weit über das Übliche. Schließlich gab es in den letzten zwölf Jahren nur zwei Deutsche Meister: Bayern München und eben Bayer Leverkusen.

Ins Auge sticht aber auch die kaum fassbare, rasante Entwicklung des Teams, seitdem Trainerneuling Xabi Alonso im Oktober 2022 die Leitung übernahm. Dies geschah übrigens nach einer 0:4-Niederlage bei Bayern München, die den Verein auf den vorletzten Platz zurückwarf.

Immer schöner anzuschauen war der Ballbesitzfußball, den er etablierte, weil er das übliche Hin- und Hergeschiebe mit spektakulären Tempoelementen verband. In den wenigen Transferperioden wurde der Kader für diesen Fußball nahezu perfekt ausgerichtet. Der Verein nahm durchaus Geld dafür in die Hand, das spielte jedoch nicht die entscheidende Rolle. Nathan Tella, der vermeintliche Königstransfer (23,3 Millionen Euro), hat keine sieben Bundesligaspiele bestritten, zählt man seine Spielminuten zusammen.

Es gab eben keine Könige. Bayer Leverkusen überzeugte als Kollektiv. Die Spieler, die etwas mehr im Scheinwerferlicht standen, wechselten sich in schöner Regelmäßigkeit ab. Jeder schien jeden besser zu machen, so dass die Ausnahmequalitäten des 20-jährigen Florian Wirtz mitunter nur wie das Sahnehäubchen auf einer stattlichen Torte wirkten.

Sympathien verdient

Ja, es ist wirklich eine Meisterschaft wie gemalt. Und es könnte weit mehr sein als nur eine Momentaufnahme, wie es im Fußballsprech so gern heißt. Längerfristig gedacht wird Bayer Leverkusen gegen systembedingt nicht einholbare Kapitalmacht des FC Bayern chancenlos sein, aber nach der Vertragsverlängerung von Xabi Alonso ist es Leverkusen zuzutrauen, mindestens in der nächsten Saison den Meisterschaftskampf offen zu halten. Betrachtet man nur die sportlichen Vorgänge, hätte sich der Verein eine Sympathiewelle verdient, wie sie einst Borussia Mönchengladbach in den goldenen 70er Jahren erfasste, als das Team für einen ganz besonderen Fußball stand.

Doch dem perfekten Bild, das Leverkusen gefertigt hat, fehlt etwas. Das erste Wort dieses Kommentars, nämlich Bayer, lässt es bereits erahnen. Es fehlt an Seele. Kaum vorzustellen, was in diesem Land in den letzten Monaten los gewesen wäre, wenn Borussia Dortmund auf diese Weise die Dauerherrschaft des FC Bayern beendet hätte.

Eine gelbe Welle hätte vermutlich das Land geflutet. Viele Kindergeburtstagswünsche hätten im BVB-Shop befriedet werden können. Das Trikot mit dem Bayer-Kreuz mag sich im größeren Einzugsbereich von Leverkusen gerade bestens verkaufen, darüber hinaus ist der Klub kaum anschlussfähig. Gegen das Stigma des Pillenklubs ist kein Kraut gewachsen.

Zudem hat die Dauerherrschaft des FC Bayern die Wahrnehmung der Fußballfans verändert. Es gibt Wichtigeres als die Deutsche Fußballmeisterschaft. Die Fans von Schalke 04 und dem Hamburger SV können das gewiss bestätigen. Es ist schwieriger geworden, eine große Euphorie zu entfachen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.