Die Wahrheit: Unterwegs als Bürokratiewutbürger

Noch immer kann ein Kind, das nach Deutschland zurückgekehrt ist, nicht in die Schule gehen. Die Behörden verhindern es mit List und Tücke.

Aus gegebenem Anlass muss ich an dieser Stelle noch einmal über Bürokratie schreiben. Eine kluge Frau bemerkte neulich, als mein Wehklagen sich wieder ins Wutbürgerliche zu wenden drohte, dass jede bürokratische Hürde irgendwann mal „aus gutem Grund“ aufgestellt worden sei.

Die kluge Frau ist selbst Beamtin, weshalb ich ihren Hinweis cum grano salis nahm und, im übertragenen Sinne, stumm auf ein endloses Feld voller verwitterter, umgekippter, nagelneuer und mit Stacheldraht umwickelter Hürden deutete, die etwas so Schlichtes und Selbstverständliches wie den regulären Schulbesuch einer Dreizehnjährigen nun schon im dritten Monat verhindert.

Das Kind ist mit seiner Mutter aus Spanien eingewandert, hat einen deutschen Pass, dazu passable Kenntnisse des Deutschen und große Lust auf die Schule. Unsere erste Idee, einfach die Schulen in der Stadt durchzutelefonieren und nach einem Platz zu fragen, erwies sich als naiv und weltfremd.

Das Kind wurde ans Schulamt verwiesen, wo über eine Zuteilung entschieden würde. Das Amt forderte, zunächst die spanischen Zeugnisse des Kindes notariell ins Deutsche übersetzen zu lassen. Eine Dienstleistung, die uns fast 380 Euro gekostet hätte, wäre das nicht in letzter Sekunde als „unnötig“ vom Tisch und der ganze Fall an das ABZ geschoben worden.

ABZ ist Trottelkoppeldeutsch für „Aufnahme- und Beratungs-Zentrum“ und sowas wie eine Behörde, die im Auftrag des Schulamtes „problematische Kinder“ an passende Schulen verteilt. Als problematisch gilt, wenn Aisha aus Damaskus oder Igor aus Mariupol noch nie einen deutschen Buchstaben gesehen hat. Oder eine aus Spanien eingewanderte Deutsche.

Das Kind müsse, so die kompetenten Koryphäen vom ABZ, zunächst ein „B2-Zertifikat“ erwerben, also einen Sprachtest bestehen – dann aber plötzlich nicht mehr, weil an einem Gymnasium eine „Deutschintensivklasse“ mit Aussicht auf „Hospitanz“ in einer richtigen Klasse und Aufnahme auf die Schule gefunden wurde. Klang gut, auch wenn die Intensivklasse eindeutig auf Aisha und Igor, nicht auf eine des Deutschen bereits mächtige Deutsche ausgerichtet ist.

Nach über einem Monat bemerkte die Schule, dass sie nun doch keinen Platz für das Mädchen hat. Der Mutter riet man, „sich doch schon mal nach einer anderen Schule umzusehen“. Dort erfuhr sie, dass das Kind bestenfalls ein B2-Zertifikat mitbringen solle. Die Kurse sind auf Monate ausgebucht. Ob man sich denn schon ans ABZ gewandt habe?

Ich rege mich nicht auf, o nein. Wenn eine Mutter ihr Kind drei Monate vom Unterricht fernhält, steht in der Regel fix die Polizei vor der Tür. Wenn aber die Bürokratie den Schulbesuch verhindert, gibt es dafür gewiss einen guten Grund. Ich melde mich, wenn der mir irgendwann einleuchtet.

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kari

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